Nach fast 10 Jahren musste am 31.1.22 diese Tierarztpraxis geschlossen werden.
Die Tierärztin hat sich beruflich anderweitig orientiert und es konnte in der Kürze der dafür zur Verfügung stehenden Zeit keine Nachfolge gefunden und eingearbeitet werden. Die gesetzlichen Regelungen für Tierarztpraxen schreiben vor, eine Praxis ohne verantwortliche:n Tierarzt/ Tierärztin stillzulegen, Medikamentenbestände müssen vernichtet werden. Ein Ruhenlassen für eine gewisse Zeit, bis eine neue Personalausstattung gefunden ist, gewährte die zuständige Senatsverwaltung nicht.
Die Geschäftsführung bedauert diese Entscheidung sehr, MuT war ein Herzensprojekt der API gGmbH und etwas ganz Besonderes.
Christiane Schuhknecht-Risius
Ziele und Aufgaben des Projekts waren:
Förderung und Erhalt der Gesundheit im Zusammenleben von Mensch und Tier
Nutzung der Ressource "Tier" für die seelische Gesundheit
Beratung bzgl. der Anzahl der gehaltenen Tiere in einem Haushalt einschließlich "Geburtenkontrolle"
Förderung des Verantwortungsbewusstseins der TierhalterInnen gegenüber dem Tier und sich selbst
Motivation zur höheren Eigenverantwortlichkeit bzgl. der sozialen und persönlichen Belange
Beratung hinsichtlich Haltungsbedingungen, Erziehung, Gesundheitsvorsorge und Kosten
Behandlung von zu therapeutischen Zwecken gehaltenen Tieren
Förderung gegenseitiger Hilfe und Netzwerkarbeit bei Versorgungsengpässen
Beispiele:
Frau B., die chronisch an einer massiven Angststörung und wiederkehrenden Psychosen leidet, hat
einen Hund bekommen, damit sie ihre soziale Isolation überwindet und die Wohnung wieder verlässt. Mit
dem vierbeinigen Begleiter an der Seite kann sie ihren Aktionsradius erheblich erweitern. Sie geht wieder
allein einkaufen, hält dem Hund zuliebe ihre Wohnung sauber sowie frei von umherliegendem Müll und
geht ausgedehnt spazieren. Ihr Übergewicht ist deutlich zurückgegangen, ihre Lebensqualität
hat zugenommen. Frau B. hat vor der Anschaffung des Hundes einige Suizidversuche unternommen, seither
blieben diese aus. Die Finanzierung der medizinischen Versorgung des mittlerweile 10-jährigen Tieres
jedoch übersteigt ihre Mittel. Hat in den Vorjahren mitunter der Freie Träger der
Eingliederungshilfe (Betreutes Einzelwohnen) anfallende Impfungen bezuschusst, so sind diese
Möglichkeiten erschöpft - auch der Sozialhilfeträger lehnt Anträge auf
Kostenübernahmen kategorisch ab. Frau B. ist kein Einzelfall. Zwar begrüßen die beteiligten
Stellen (Sozialpsychiatrischer Dienst des Gesundheitsamtes, Sozialamt) die Fortschritte, die Frau B. mithilfe
ihres Hundes gemacht hat, doch für die medizinische Versorgung des vierbeinigen Therapeuten kommt
keine Stelle auf. Da Frau B. sich den Hund anschaffte, nachdem sie bereits erkrankt war und
über Jahre Sozialhilfe bezog, kann sie die Hilfe der Tiertafel nicht in Anspruch nehmen. Fest
steht, dass nach dem Tod des Hundes dafür Sorge getragen werden sollte, dass Frau B. einen neuen
Gefährten erhält, um den erreichten Status Quo ihrer eigenständigen Lebensführung zu
erhalten und Klinikaufenthalte auch weiterhin zu vermeiden.
Frau S. hielt über Jahre vier Zwergpapageien. Als diese erkrankten und Frau S. finanziell
und psychisch nicht in der Lage war, sie untersuchen und behandeln zu lassen, hatte sie die
Vögel eigenhändig getötet. Anschließend fiel sie in einen über Monate anhaltenden
psychotischen Schub und ist heute - nach langem Klinikaufenthalt - nur allmählich imstande, ihre sie
quälende Schuld aufzuarbeiten.
Frau D. leidet unter einer chronischen Psychose, sie ist der festen Überzeugung: sobald sie
mit dem Kater aus der Wohnung geht, wird dieser mit schädlichen Strahlen vergiftet. Dies zog nach sich, dass
der Kater unkastriert blieb, massive Zahnprobleme entwickelte und niemals geimpft wurde.
Frau D. war mit Hilfe der psychologischen Bezugsbetreuerin dazu zu bewegen, den Kater der Tierärztin
der API gGmbH anzuvertrauen, weil diese über einen "besonderen Strahlenschutz" verfüge (so konnte
der Wahn der Klientin eingedämmt werden). Ihr Kater ist inzwischen kastriert - andernfalls
hätte Frau D. aufgrund der erheblichen Geruchsbelästigung ihre Wohnung verloren. Auch die
Zähne sind behandelt, dem Tier geht es gut; hiervon überzeugt sich die Tierärztin der
API gGmbH in regelmäßigen Hausbesuchen. Diese Regelmäßigkeit kann nur in enger
Zusammenarbeit mit der betreuenden Psychologin erhalten werden. Einer niedergelassenen Tierärztin
wäre der Zugang zu dem Kater verwehrt geblieben.
Herr F. rührte sich kaum noch aus dem Haus, weil seine 20-jährge Katze im Sterben lag. Bedingt
durch die vorliegende psychotische Symptomatik war der Klient allerdings nicht imstande zu erkennen, wann
das Tier aus Tierschutzgründen hätte euthanasiert werden sollen. So zog sich der Sterbeprozess
der Katze über Wochen und Monate hin, was durch eine darauf sensibilisierte Bezugsbetreuung und das
Projekt Mut hätte verhindert werden können.
Frau B., Frau S., Frau D. und Herr F. stehen exemplarisch für einen Großteil der
Betreuten. Viele waren wegen einer chronischen Erkrankung/ Behinderung nie auf dem ersten Arbeitsmarkt
beschäftigt. Gerade diese Menschen erfahren durch Haustiere Trost und Lebensinhalt. Nicht
selten ist der Zugewinn jedoch einseitig und die so nützlichen Tiere sind unzureichend
versorgt oder werden aus unterschiedlichen, auf die Erkrankung der TierhalterInnen
zurückführbaren Gründen nicht tiergerecht gehalten. Dieser Umstand belastet zudem die
gesundheitliche Situation der KlientInnen. Das Anliegen von MuT ist, die Lebensbedingungen von
Mensch und Tier zu verbessern. Für den beschriebenen Arbeitsbereich gilt im Besonderen: Tierschutz
ist zugleich Menschenschutz.
MuT fördert über die direkte tierärztliche Basisversorgung hinaus den Aufbau und die
Pflege eines Netzwerks, innerhalb dessen Pflegestellen für Tiere akquiriert werden können, deren
Halter sich in stationärpsychiatrische Behandlung begeben müssen.
Zudem sollen Kontakte zu HundetrainerInnen hergestellt werden, um die HalterInnen bei der Erziehung und
dem Training ihrer häufig im Verhalten auffälligen Hunde zu schulen.
Ein bereits im Vorfeld der Projektplanung bemerkbarer Nebeneffekt ist die durch MuT angeregte wachsende
Aufmerksamkeit der Träger und BezugsbetreuerInnen auf die Situation der in den Haushalten
lebenden Tiere. MuT wurde im Planungsstadium in der bezirklichen Steuerungsrunde vorgestellt. Dort nehmen
Vertreter der Freien Träger der gemeindepsychiatrischen Versorgung teil, um über die
Versorgungssituation und ggf. neue Bedarfe und Projekte zu beraten. Hier bestätigte sich durch
entsprechende Rückmeldungen die Annahme, dass viele unzureichend versorgte Tiere in
Haushalten psychisch Kranker leben.
Diese Tiere würden ohne MuT niemals einem Tierarzt vorgestellt und finden
bislang oft erst dann Beachtung, wenn eine Herausnahme durch die Amtstierärztin unumgänglich
wird - beispielsweise nach einer Zwangseinweisung der Tierhalter oder wiederholten Beschwerden von Nachbarn.